Abstract
Weltweit lösen sich die etablierten Leitbilder der Automobilität des 20. Jahrhunderts zunehmend auf. Damit gerät die Automobilwirtschaft in Deutschland und Europa mit ihrer enormen volkswirtschaftlichen, beschäftigungs- und innovationspolitischen Bedeutung unter Druck. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, in dem die Branche sich auf einem Expansionskurs mit steigenden Umsätzen, wachsender Beschäftigung und weiter zunehmenden Exporten befindet. Starke und global wirksame Megatrends, neue Mobilitätsanforderungen in den sich urbanisierenden Verkehrsmärkten und eine bislang nicht bekannte Konkurrenz, etwa durch die aufstrebende IT-Branche, aber auch durch die industriepolitischen Zielsetzungen Chinas, verändern unsere Mobilität. Die damit einhergehende Elektrifizierung, Vernetzung, Automatisierung und Sharing Mobility revolutionieren die Automobilität, sie führen zu einer neuen Automobilität. An die Stelle des fossilen Antriebs treten elektromotorische Aggregate und Speicherkonzepte, anstelle des Selbstfahrens treten die Konzepte des assistierten, automatisierten und autonomen Fahrens, und anstelle des Besitzes tritt die digitale Plattformökonomie mit neuen Geschäftsmodellen und Vertriebsformen. Für die Automobilwirtschaft in Deutschland und Europa kumulieren diese Entwicklungen zu drastischen Angebots und Nachfrageveränderungen, die ihr bisheriges Geschäftsmodell infrage stellen. Mit automobilpolitischer Regulierung und unternehmensinterner Selbsttransformation sind diese Transformationsprozesse nicht mehr zu bewältigen. Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und Verbraucher_innen müssen in gemeinsamer Anstrengung einen Wandel im Bereich der Automobilitiät voranbringen. Gelingen kann dies nur mit einem Zukunftspakt für Mobilität, der unternehmerische, politische und gesellschaftliche Strategien mit dem Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Verkehrswende zusammenführt. Er steht in der Tradition der kooperativen Bewältigung des wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Wandels. Politisches Leitbild muss ein nachhaltiges und integriertes Gesamtverkehrssystem unter Einbeziehung des Automobils als Baustein in intermodalen Handlungs- und Transportketten sein. Vor allem die Bundesregierung ist hier gefordert, als zentraler staatlicher Akteur die Prozesse zu koordinieren und zu moderieren, gemeinsam mit den Ländern und Kommunen. Sie muss den regulativen, fiskalischen und strukturpolitischen Handlungsrahmen schaffen, während Unternehmen und Politik in einem transparenten Konsultationsmechanismus die gesellschaftliche Verständigung über einen Zukunftspakt für Mobilität vorantreiben sollten. In einem ersten Schritt sollte ein politisch moderiertes und reguliertes verbraucherseitiges Markttransformationsprogramm für Elektromobilität auf- und auch umgesetzt werden. Es gilt dabei vor allem, Verhaltensweisen der Verbraucher_innen mutig so zu gestalten, dass die Nachfrage für neue und zukunftsfähige Produkte entsteht. Auf europäischer Ebene sieht der Zukunftspakt beispielsweise die Initiierung eines Projekts zum Technologiesprung hin zur Elektromobilität vor. Im Rahmen des Markttransformationsprogramms müssen zudem die Kommunen stärker und umfassender befähigt werden, kommunale Labore zu fördern, in denen sowohl die Autoindustrie als auch die Betreiber des öffentlichen Verkehrs (ÖV) neue Formen der Zusammenarbeit im Hinblick auf die neue Mobilität entwickeln können.
Autor*innen
Bormann, René; Fink, Philipp; Holzapfel, Helmut; Rammler, Stephan; Sauter-Servaes, Thomas; Tiemann, Heinrich; Waschke, Thomas; Weirauch, Boris